Savoyarden- oder Totenkopfhelm
Deutschland oder Italien
Höhe: 30 cm
Gewicht: 4,6 kg
Provenienz und Veröffentlichungen
I. Wohl Sammlung Baron Peuker, Berlin, versteigert in Bruxelles: Le Roy, M. Henri (1854): Catalogue Illustré D’Armes Anciennes Europeennes et
Orientales…, Tafel II, Abb. 21.
II. Sammlung Bach, Paris.
III. Sammlung Rutherfurd Stuyvesant auf Rutherfurd Hall, New York; publiziert in: Dean,
Bashford (1914): The Collection of Arms and Armor of Rutherfurd Stuyvesant, S. 26, Tafel XIII.
Rutherfurd Stuyvesant (1843 – 1909) war Gründungsmitglied des Metropolitan Museum of Art in New York und im Board of Trustees in den Jahren 1870 bis zu
seinem Tod 1909 vertreten. Die Geschichte der Familie Stuyvesant in New York reicht bis auf das Jahr 1646 zurück, als
Peter Stuyvesant Generaldirektor von Neu-Niederlande auf dem Gebiet des heutigen Manhattan
wurde. Zur Bedeutung der Sammlung siehe auch Pyhrr, S. (2012): Of Arms And Men, Arms and Armor at the Metropolitan 1912 – 2012, S. 6 ff.
Anläßlich der Feier des 100 Jährigen Bestehens der Waffensammlung des Metropolitan Museum of Art ist derzeit[...]
die Sonderausstellung
Bashford Dean and the
Creation of the Arms and Armor Department zu sehen (2.10.2012 – 29.9 2013).
IV. Sammlung Frank Andrina , Los Angeles; publiziert in:
Curtis, Howard M. (1977): 2,500 Years of European Helmets, S. 304 f.
Hintergrund
Im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts wurden Feuerwaffen immer präziser und konnten durch die Innovation des Radschlosses sogar von der Reiterei getragen
werden. Als Reaktion darauf entwickelten die Plattner Verteidigungswaffen, die an exponierten Stellen zuverlässig vor Musketenbeschuss schützten. Aufgrund
der erforderlichen Materialstärke derartiger Rüstungen stieg das Gewicht eines Harnischs allerdings so stark an, dass ein Einsatz der vollen Körperpanzerung
im Feld auf die schwere Reiterei beschränkt bleiben musste.
Zum Schutz der Kopfpartie kam bei einem solchen Küraß meist der Mantelhelm zum Einsatz. Eine spezielle Unterform ist der hier vorliegende sog. Totenkopfhelm.
Diese Bezeichnung wurde vom Furcht einflößenden Erscheinungsbild geprägt, das durch die Gestaltung des Visiers in Form eines stilisierten menschlichen
Gesichts mit dunklen Augenhöhlen und einer geschwärzten Oberfläche gekennzeichnet ist.
Es war die als elitär geltende schwere Reiterei,[...]
die in der Armee
Karl Emanuel von Savoyens zur Bekanntheit dieses Helmtypus maßgeblich beigetragen hat und
die alternative Bezeichnung Savoyardenhelm prägte.
Im Jahre 1602 belagerte Karl Emanuel die Stadt Genf und befehligte am 11. Dezember 3000 Söldner, während
der Nacht den Ring um die Stadt zu schließen. Als dies gegen 2 Uhr gelungen war, wendete der Herzog
eine besondere List an: Es sollten die 200 Angehörigen
der schweren Reiterei in ihren beeindruckenden Kürassen und Totenkopfhelmen unbemerkt mit Hilfe von Leitern die Stadtmauer erklimmen. Ziel war es, das
Überraschungsmoment zu nutzen, die Wachen im Handstreich zu überwältigen und ein Tor der Stadt zu öffnen, um der Hauptstreitmacht den Weg freizumachen.
Eine Nachtwache bemerkte allerdings das Vorhaben und konnte die Verteidiger rechtzeitig alarmieren, so dass der Angriff zurückgeschlagen werden konnte.
54 Angreifer wurden dabei vernichtet und viele weitere gefangen genommen. Seit dieser Zeit wird an diese sog.
Escalade de Genève jährlich in Form eines
Volksfestes erinnert.
Die im Rahmen der Schlacht von Genf erbeuteten Harnische umgab fortan die Aura einer Trophäe. Viele dieser Stücke sind im Genfer
Musée d’Art et d’Histoire
zu sehen, andere konnten im Laufe der Zeit den Weg in den Kunstmarkt finden. Möglicherweise ist auch der vorliegende Helm ein Beutestück aus dieser
Schlacht. Die seit der Zeit der Ereignisse von Genf gebräuchliche Bezeichnung Savoyardenhelm [...]
lässt allerdings keine Rückschlüsse darauf zu, dass dieser
Helmtypus ausschließlich auf dem Gebiet des heutigen Italien gebräuchlich war. Es ist durchaus denkbar, dass vergleichbare Helme auch in anderen Regionen
zum Einsatz kamen.
Beschreibung
Die Helmglocke ist fast kugelförmig aus zwei Teilen geformt, die in einem Mittelgrat durch Umbördeln fest miteinander verbunden wurden. Ihre Oberfläche
ist hammerrau belassen und verfügt noch über die originale unverfälschte Schwärzung, während der Mittelgrat blank poliert und zur Zierde geschnürlt wurde.
Zum Schutz des Nackenbereiches schmiedeten die Plattner beide Hälften in einen entsprechenden Schirm aus und beließen am unteren Rand einen vertieften
Streifen blank, der wiederum in einem gebördelten und geschnürlten Abschluss endet. Diese Form der Zierde setzte man ebenso am vorderen Rand des Kinnreffs
um (vom Visier verdeckt), an der zum Nacken korrespondierenden Kragenplatte sowie den Rändern der Augenschirme und dem stirnseitigen Ende der Helmglocke.
An der Nackenpartie und den von Stirnstulp bzw. Visier verdeckten Rändern der Helmglocke sind mehrere Nieten zu sehen, die einst auf der Innenseite das lederne
Helmfutter fixierten und noch heute Reste davon einschließen. Die Nietköpfe wurden abgeschliffen und wie die übrige Oberfläche geschwärzt bzw. auf den
Zierrändern blank poliert. [...]
Zum Verschluss des Helmes befindet sich in Höhe der oberen Halspartie der Helmglocke ein drehbar gelagerter Verschlusshaken, der
in eine Öse am Kinnreff greift. Ein weiterer Haken schließt vom unteren Rand des Visiers in eine Öse am vorderen Teil des Kinnreffs.
Kinnreff, Visier und Stirnstulp hat man gleichfalls hammerrau belassen und geschwärzt sowie an den Rändern durch eine Zierrille und einen sich verjüngenden
blank belassenen Rand optisch abgesetzt. Der Stirnstulp greift mittig den Grat der Helmglocke auf und lässt diesen zum unteren Rand hin auslaufen.
Im Zentrum der Wangen befinden sich auf dem Visier protegierte Atemöffnungen. Ebenso wurde im Bereich der Mundpartie eine rechteckige Form ausgespart,
die neben der Belüftungsfunktion zusammen mit den Augenhöhlen dazu dient, das Erscheinungsbild eines stilisierten Gesichts zu erzeugen.
Die Platten dieses Helmes wurden in einer Stärke gearbeitet, die eine Schussfestigkeit gegenüber zeitgenössischen Feuerwaffen gewährleistete. Allerdings
ging dies zu Lasten des Gewichts, das ca. 4,6 kg beträgt. Ein solcher Helm bringt seinen Träger an die Grenzen der Belastbarkeit.[...]
Vergleichsstücke
Tower of London, Inventar Nr. IV.48; Vgl. Dufty, A. R. (1968): European Armour in the Tower of London, Tafel CVII.
Higgins Armory Museum, Inventar Nr. 609.a
Metropolitan Museum of Art, Inventar Nr. 14.25.512
Art Institute Chicago, Inventar Nr. 1982.2498
Musée d’Art et d’Histoire de Geneve
Museo Stibbert, Florenz; Vgl. Lensi, A. (1917): Il museo Stibbert, Tafel XXX.